Das Arbeitserziehungslager im Sachsenwerk Radeberg

Wie überall, in vergleichbaren deutschen Großbetrieben mit Rüstungsproduktion, herrschte auch im Sachsenwerk mit Beginn des zweiten Weltkrieges bald Arbeitskräftemangel. Nach anfänglicher Umschichtung von deutschen Arbeitskräften aus nicht für den Krieg wichtigen und daher stillgelegten Betrieben, kamen später vorrangig ausländische Arbeitskräfte mit unterschiedlichen Zuführungen (angeworbene Facharbeiter, Zwangsverpflichtete, Kriegsgefangene) zum Einsatz. Ihre Unterbringung erfolgte meist in Barackenlagern in unmittelbarer Betriebsnähe.


Im Sachsenwerk waren ab 1942, mit wachsendem Umfang, bis zu 800 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Da 1944 die Zuführung von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten wegen der zurückgehenden Fronten stagnierte, vermittelte das Arbeitsamt dem Sachsenwerk Straf­gefangene zur zusätzlichen Deckung des Arbeits­kräftedefizits. Dazu ließ die Dresdner Gestapo-Leitstelle auf dem Sachsenwerkgelände (neben dem heutigen Lehrlings­wohnheim am Robert-Blum-Weg, durch Gedenk­stein gekennzeichnet) ein Arbeitserziehungslager (AEL), mit zwei Baracken für 40 bis 80 Häftlinge und eine Wach­mann­schaft, errichten. Das Gelände war mit Stacheldraht abgezäunt. Die Versorgung der Insassen übernahm das unmittelbar benachbarte "Ostarbeiter­lager". Der Einsatz der Häftlinge erfolgte in abge­schlossenen Abteilungen im Sachsenwerk. Das Lager wurde Mitte Juli 1944 in Betrieb genommen.



Luftbild von 1945: 1 zwei Baracken des AEL, 2 "Ostarbeiterlager, 3 Schießstand, 4 Baracken der Lagererweiterung, 5 Leichenfundort im Wald.

Eingeliefert in das AEL wurden anfänglich vorrangig ausländische Arbeitskräfte aus anderen Betrieben mit Kriegsproduktion. Aufgrund unterschiedlicher "Vergehen", wie Arbeitsverweigerung, Schwarzhandel, verbotene Nutzung der Eisenbahn, Überschreitung der Polizeistunde, sollten sie im AEL mit verschärfter Unterbringung und erhöhter Arbeitsbelastung "diszipliniert" werden. Die Lagerverweildauer war auf 28 Arbeitstage festgelegt, wurde aber später nach Intervention des Sachsenwerkes auf 56 Tage ausgedehnt. Von Anfang an kam es, aufgrund des meist sehr schlechten körperlichen Zustandes der eingelieferten Häftlinge, der fehlenden ärztlichen Betreuung, der mangelhaften Ernährung und körperlichen Züchtigungen, zu Todesfällen. Die Verstorbenen wurden, unter Mithilfe von Mitgefangenen auf dem Radeberger Friedhof, ohne spezielle Zuordnung, eingewickelt in Fettpapier, beigesetzt.

Ab Ende 1944 wurden in das AEL zusätzlich Untersuchungshäftlinge (wiederum vorrangig Ausländer) aus dem Untersuchungsgefängnis Dresden, Münchner Platz, eingeliefert, die in keinem Zusammenhang mit Verfehlungen am Arbeitsplatz standen. Ab Anfang 1945 war das AEL auch Außenstelle des Untersuchungsgefängnisses Dresden. In den Baracken trat eine Überbelegung ein, die die von Anfang an schlechten Lebensbedingungen unmenschlich werden ließen. Jetzt kam es zu gezielten Vollstreckungen von Todesurteilen durch Erschießungen von Häftlingen. Neben Ausländern zählten auch deutsche Zivilisten, Militärangehörige und erstmals Frauen zu den Opfern. Da die Toten nicht mehr im normalen Bestattungsablauf auf dem Friedhof beigesetzt werden konnten, wurde jetzt ein spezielles erweiterbares Massengrab angelegt.

[Grafik] Für eine immer dringendere Kapazitätserweiterung des Lagers wurden, auf dem durch die Wehrmacht am Schießstand an der Juri-Gagarin-Straße gepachteten Gelände, zusätzliche Baracken errichtet. Nach der Zerstörung des Untersuchungsgefängnisses in Dresden, im Rahmen des Bombenangriffes am 13.2.1945, nahm die Zahl der Überstellungen nach Radeberg mit anschließender Tötung weiter zu. Nunmehr erregte der Transport der Toten durch die Stadt mit offensichtlichen Anzeichen auf unnatürliche Todesursache größeres Aufsehen. Man entschloss sich daher, die Toten direkt neben dem neuen Barackenkomplex, im angrenzenden Wald, zu verscharren. Zum großen Teil wurden die Erschießungen, wie auch aus anderen Konzentrationslagern bekannt, in sadistischer Weise vorgenommen, teilweise direkt in den vorbereiteten Leichengruben. Mit Kriegsende, Anfang Mai 1945, wurde das AEL geschlossen und aufgelöst. Die im Wald verscharrten Toten wurden unmittelbar nach Kriegsende exhumiert. An 12 Einzelstellen fand man 156 Tote. Sie wurden kurzfristig auf einem neu eingerichteten Sonderfriedhof an der Pulsnitzer Str./Ecke Otto-Uhlig-Sraße innerhalb einer Feierstunde am 20.07.1945 beigesetzt (Bild links).

Die überregionale Aufmerksamkeit erreichte das AEL Radeberg durch den nach Kriegsende im September 1945 in Dresden geführten "Tonhallenprozess". Hier wurde erstmals in der sowjetischen Besatzungszone, durch ein kurzfristig von der Landesverwaltung Sachsen berufenes Gericht, ein Prozess zur Verfolgung von NS-Verbrechen durchgeführt. Angeklagt waren Mitglieder der Lager­verwaltung in Radeberg. Im Verfahren wurden fünf Verantwortliche verurteilt, davon zwei zum Tode. Einige Hauptverantwortliche konnten nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Im Umfeld des Dresdner Prozesses wurde 1945 für das AEL Radeberg eine Todeszahl von 422 genannt. Aufstellungen über diese Todeszahl liegen heute nicht vor. Sie steht im Widerspruch zu vorliegenden Listen und Einzelaussagen. Die in den Prozessakten und anderen vorliegenden Berichten genannten Zahlen von ca. 140 Erschießungen und ca. 250 Gesamttoten geben sicher die Opferzahlen besser wieder. Eine übergreifende Aufarbeitung des Gesamtkomplexes mit den zwischen­zeitlichen neuen Erkenntnissen wäre sicher wünschenswert und gleichzeitig Informationsquelle für folgende Generationen.


Dieser Beitrag wurde übernommen aus Radeberger Hefte zur Stadtgeschichte Nr.10, Autor ist Bernd Rieprich