Elektronische Datenverarbeitungsanlage R300

Einordnung

Ein Beschluss des Ministerrates der DDR hat 1964 die Grundlage für die Produk­tionsaufnahme von Einrichtungen der elektro­nischen Daten­verarbeitung gelegt.

Im VEB Elektronische Rechenmaschinen (ELREMA) in Karl-Marx-Stadt war die Rechenanlage R300 entwickelt worden. Bei der Entwicklung orientierte man sich am Vorbild IBM 1401. Die R300 war die erste universell einsetzbare EDVA im sozialistischen Wirtschafts­gebiet und hatte zum Weltstand einen Rückstand von 4...6 Jahren. Datenträger jener Zeit waren Lochkarte, Lochstreifen und Magnetband.

Die Fertigung von Baugruppen in Radeberg begann 1966, Anfang 1967 entstanden das erste von fünf Fertigungsmustern. Beginn der Produktion war 1968, Ende 1972, es wurden 350 Systeme hergestellt.

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Funktionelles

Entsprechend den verfügbaren Techno­logien stellt sich das System dar. Die logisch-funktionelle Basis ist eine Dioden-Transistor-Logik mit einer Taktfrequenz von 100 kHz, die Arbeitsweise ist Zeichen-parallel bei einer Zeichenbreite von 8 Bit. Der Ferritkernspeicher hatte zunächst eine Kapazität von 10.000 später dann 40.000 Zeichen. Um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, wurden aufwendige Lösungen gewählt. So ist zum einen die Zentral­einheit mit einer (abrüstbaren) Rechenwerks-Ergänzung ausgerüstet und zum anderen sind die Ein- und Ausgabe­geräte über Puffersteuerungen ange­koppelt, wodurch ein simultaner Betrieb von Ein- bzw. Ausgabe und Programmlauf realisiert werden konnte.

Die Zentraleinheit mit den Komponenten Stromversorgung, Steuerwerk, Rechenwerk und Hauptspeicher umfasst 6 Systemschränke, weiteren 8 Systemschränke enthalten die Gerätesteuerungen bzw. Ein- und Ausgabepuffer, hinzu kommen ein Bedientisch und ein Maschinentisch mit Schreibmaschine, Lochbandleser und Lochbandstanzer. Die technische Realisierung der Zentraleinheit basiert auf drei Leiterplattentypen in Schwenkrahmen. In funktioneller Hinsicht beinhalten eine Steckeinheit z.B. ein Flip-Flop oder fünf Gatterstufen. In den insgesamt 14 Systemschränken befinden sich ca. 5400 Steckeinheiten, darauf sind ca. 18.500 Transistoren und 43.000 Dioden vorhanden. Die logische Funktion ist über eine Wickelverdrahtung realisiert. Im Speicher kommen Ferritkerne mit 2 mm Ringdurchmesser zum Einsatz, eine Speichermatrix besteht aus 2000 Ferritkernen, jeweils 8 Matrizen bilden einen Speicherblock für 2000 Zeichen. Die Speicherblöcke werden in Thermostaten bei 40° C betrieben. Eine Übersicht zeigt das Blockschaltbild:
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Als Zusatzspeicher können über eine entsprechende Steuereinheit maximal vier Magnettrommelspeicher und zusätzlich ein Ferritkernspeicher mit einer Kapazität von 10.000 Zeichen angeschlossen werden. die Speicherkapazität eines Magnettrommelspeichers beträgt 10.000 Zellen zu je 10 Zeichen, die durchschnittliche Zugriffszeit war 20 ms.

Magnetbandspeicher dienten als Ein- und Ausgabegeräte und waren die Massenspeicher jener Epoche. Über ein Magnetband-Steuergerät sind bis zu acht Magnetbandgeräte anschließbar. Vom Programm können bis zu sechs Geräte angesteuert werden, wobei zwei Magnetbandgeräte gleichzeitig Daten austauschen können, und zwar eines mit der Funktion "Lesen" und ein anderes mit der Funktion "Schreiben". Ein Magnetband hatte eine Länge von 750 m und eine Aufzeichnungsdichte von 22 Zeichen / mm, damit ergibt sich eine Kapazität von ca. 10.000.000 Zeichen. Eine simultane Arbeit von Magnetbandgeräten und Ferritkern-Zusatzspeicher war möglich.

Als Ein- und Ausgabegeräte waren vorhanden:

Der Flächenbedarf für eine Anlage beträgt je nach Ausstattung 150...220 m², Klimatisierung wurde gefordert und für die Magnetbandgeräte war in der Regel eine separate Kabine vorhanden, um den Forderungen nach Staubfreiheit zu entsprechen. Die Leistungsaufnahme betrug 30...35 KVA, wobei in der Mehrzahl der Einsatzfälle die Stromversorgung über eine Motor-Generator-Einheit erfolgte.

Überleitung und Produktion

Das Realisieren dieser neuen Rechentechnik mit Systemcharakter erforderte in der Volkswirtschaft der DDR das Freiräumen von Fertigungs­kapazität, da kein Neubau bilanzierbar war. Auf der Suche nach einem geeigneten Produktionsbetrieb für die Zentraleinheit fand der Verant­wortliche im VEB ELREMA den Betrieb VEB RAFENA Radeberg. So begannen 1964 hier erste Vorarbeiten zur Aufnahme der Produktion der Zentraleinheit des Systems.

1965 erfolgte dann die Übernahme der komplexen Thementrägerschaft für die Entwicklung des R300 durch RAFENA. Unter der Leitung des Werkes Radeberg wurde ein Kooperationsverband "Robotron 300" mit 22 Betrieben, vom Teileproduzenten bis zum Außenhandelsbetrieb gebildet. Es existierte ein Überleitungsvertrag zwischen Entwicklungs- und Produktionsbetrieb. Im zweiten Halbjahr 1965 arbeitete sich ein Ingenieur­kollektiv beim Entwickler in die neue Thematik ein und arbeitet im Verlauf des Jahres 1966 bei der Inbetriebnahme des zweiten Funktionsmusters mit.

Ein Teil dieses Teams war bisher mit der Entwicklung von Fernsehgeräten befassten gewesen, für diese Mitarbeiter stellte die neue Aufgabe absolutes Neuland dar. Die Mehrzahl der benötigten ingenieurtechnischen Mitarbeiter des Überleitungskollektives, des Prüffeldes und der Gütekontrolle musste aber außerhalb gewonnen werden und das zwang dazu, Anreize zu schaffen. Deshalb wurde in Radeberg ein Wohnungs­bauprogramm aufgelegt, das ca. 600 Wohnungen umfasste und man setzte 1968 die Umstellung des Tarifsystems vom allgemeinen Maschinen­bau auf Schwermaschinenbau durch. Neben diesen Maßnahmen wurde dem Abend- und Zusatzstudium sowie dem Frauensonder­studium große Bedeutung und erhebliche Mittel eingeräumt. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erwarben in dieser Zeit einen Ingenieurschulabschluss.

Zunächst wurden 1967 im Ostflügel des E-Gebäudes vier klimatisierte Prüfkabinen gebaut, hier erfolgten Zusammen­bau und Prüfung der insgesamt fünf Fertigungsmuster. Die ersten vier Systeme waren noch mit 10.000 Zeichen Hauptspeicher und den japanischen Magnetband­geräten MT100 ausgerüstet.

Hinsichtlich der Produktion und Prüfung der Steckeinheiten waren keine grundsätzlich neuartigen Prozesse einzuordnen, hier konnte auf den Erfahrungen aus der Fernsehgerätefertigung aufgesetzt werden. Die technische Realisierung der Zentraleinheit basierte auf wenigen Leiter­plattentypen in Schwenkrahmen.

In den Schwenkrahmen sind keine Rückverdrahtungs-Leiterplatten vorhanden. Die logisch-funktionelle Verschaltung wird durch Wickelver­drahtung und Litzenbänder realisiert. Diese Wickelverdrahtung war eine neue Technologie innerhalb der Fertigung. Sie erfolgte halb automatisch, d.h. der Draht wurde mit seiner Isolierung mithilfe einer Wickelpistole um den jeweiligen Kontaktwickelstift gewickelt und dabei wurde durch Kerbwirkung der elektrische Kontakt hergestellt. Die Richtigkeit der Position wurde halb automatisch garantiert.

Partnerbetriebe

Kooperationspartner waren unter anderen:

Personalien

Als Vater des R300 beim Entwicklungsbetrieb VEB ELREMA gilt Rolf Kutschbach, das Rechenwerk hatte Herr Brinkel als Diplomarbeit entworfen. Die Vorarbeiten zur Übernahme nach Radeberg wurden 1964 durch Rudolf Kunze (später Direktor für Technik) und Klaus Fichtner ausgeführt. Im Jahr 1965 wurde eine Vorbereitungsmannschaft für die neue Fertigung zusammengestellt und in die neu geschaffene Struktureinheit TKD unter Leitung Günther Böhme eingeordnet. Entwicklungsleiter war Erik Tauchmann und Direktor für Forschung und Technik Gerhard Wiesner. Aus den Mitarbeitern wurde schließlich eine Gruppe delegiert, die den Bearbeiterstamm für die Übernahme der Anlage im Stand K5 vom VEB ELREMA darstellt Weiterentwicklung bis ÜK8 sichern sollte.

Weiterführende Ausarbeitungen hierzu:

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Johann Liegert: Die Geschichte der Entwicklung und Überleitung der EDVA R300 von Robotron; (105 kByte)
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Klaus Fichtner: Meine Erinnerungen an R300; Zuarbeit 2005; (50 kByte)
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Wolfgang Leistner; Klimaanlagen für die Prüfkabinen der R300-Produktion; Zuarbeit 2006; (1,3 MByte)